Asperger und Autismus: Der besondere Blick auf die Welt

Asperger und Autismus: Der besondere Blick auf die Welt
Hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungen bei Erwachsenen gehören zu den am häufigsten übersehenen Diagnosen in der ambulanten Psychotherapie – mit weitreichenden Folgen für Betroffene und Behandelnde. Während Kinder mit klassischem Autismus heute meist frühzeitig erkannt werden, fallen hochfunktionale Erwachsene oft jahrzehntelang durch das diagnostische Raster. Sie haben gelernt zu „maskieren“, haben Karrieren aufgebaut, Partnerschaften geführt und ausgefeilte Kompensationsstrategien entwickelt – während sie gleichzeitig unter chronischer Überforderung, unerklärlichen Beziehungskrisen und einer Vielzahl komorbider Störungen leiden, die therapeutisch schwer greifbar bleiben.
Sie kennen das aus Ihrer Praxis: Die Patientin mit therapieresistenter Depression, die Ihre Metaphern irritiert wörtlich nimmt und deren soziale „Vermeidung“ sich bei genauem Hinsehen als genuine Überforderung entpuppt. Der Klient mit Burn-out, der nach jedem Termin erschöpft wirkt – nicht von der emotionalen Arbeit, sondern vom Augenhalten des Blickkontakts und dem Dekodieren Ihrer Mimik. Die hochintelligente Akademikerin, die perfekt funktioniert, bis plötzlich Alltagsroutinen zusammenbrechen und dissoziative Zustände auftreten. Die Forschung der letzten Jahre zeigt eindeutig: Diese Patientengruppe präsentiert sich komplex, atypisch und wird systematisch fehldiagnostiziert – als soziale Phobie, schizoide Persönlichkeitsstörung, atypische Depression oder Borderline-Störung.
Was Sie in diesem Kurs erwartet:
Sie erhalten eine praxisorientierte Einführung in die klinische Realität hochfunktionaler ASS im Erwachsenenalter. Der Kurs basiert auf aktueller Forschung zu „Camouflaging“ – den oft hochkomplexen Kompensationsstrategien, mit denen Betroffene ihre Andersartigkeit verbergen – und zeigt, warum klassische Screening-Instrumente bei dieser Gruppe regelmäßig versagen. Sie lernen, auf subtile diagnostische Marker zu achten: das angestrengte Aufrechterhalten von Blickkontakt, die sensorische Überlastung nach sozialen Situationen, die rigiden Routinen, die als „Zwang“ fehlgedeutet werden, die Spezialinteressen, die in intellektueller Verpackung normal wirken.
Der Kurs arbeitet intensiv mit Fallvignetten aus der klinischen Praxis: Fälle wie beispielsweise die IT-Spezialistin, die in Partnerschaftstherapie sitzt, weil ihr Partner ihre „emotionale Kälte“ nicht mehr erträgt – während sie verzweifelt versucht, Gefühle zu zeigen, die sie nicht lesen kann. Oder der Jurist mit vermeintlicher Zwangsstörung, dessen Rituale tatsächlich Bewältigungsstrategien für sensorische Reizüberflutung sind. Die Lehrerin mit Panikattacken, die keine Panik erlebt, sondern autistische „Shutdowns“ nach Überstimulation. Sie verstehen, wie neuropsychologische Besonderheiten – Schwierigkeiten mit Theory of Mind, detailfokussierte Wahrnehmung, exekutive Dysfunktionen – das tägliche Erleben prägen und warum konventionelle Therapieansätze oft ins Leere laufen.
Besonderer Fokus liegt auf der differenzialdiagnostischen Präzision: Sie lernen, ASS von oberflächlich ähnlichen Störungsbildern zu unterscheiden – nicht durch Fragebogen allein, sondern durch klinische Beobachtung, gezielte Exploration und das Verstehen der inneren Logik autistischen Erlebens. Der Kurs vermittelt, wann Sie an ASS denken sollten, welche Fragen wirklich weiterführen und wie Sie diagnostische Gespräche führen, die hinter die Maske blicken. Sie verlassen den Kurs mit geschärftem Blick für eine Patientengruppe, die Ihnen bisher möglicherweise entgangen ist.
Konkret werden behandelt:
- Klinische Erscheinungsbilder im Erwachsenenalter: Wie zeigt sich hochfunktionale ASS in Partnerschaft, Beruf und Alltag? Ausführliche Kasuistiken illustrieren typische Patientenverläufe – von der Erstvorstellung über diagnostische Irrwege bis zur korrekten Einordnung
- Diagnostische Sensibilität entwickeln: Welche Beobachtungen sind wegweisend? Wie explorieren Sie systematisch, ohne Standardfragebogen blind zu vertrauen? Konkrete Gesprächsleitfäden und Beobachtungskriterien für typische und atypische Präsentationen
- Neuropsychologische Grundlagen verstehen: Theory of Mind-Besonderheiten, detailfokussierte Wahrnehmung, exekutive Herausforderungen – Sie verstehen die innere Logik autistischen Erlebens und können daraus therapeutische Strategien ableiten
- Komorbidität und Differenzialdiagnostik meistern: Depression, Angst, Zwang, ADHS, Persönlichkeitsstörungen, dissoziative und psychotische Symptome – wie grenzen Sie ab? Wann liegt primäre ASS vor, wann Komorbidität? Entscheidungshilfen für komplexe diagnostische Konstellationen
- Geschlechtsspezifische Besonderheiten erkennen: Warum „maskieren“ Frauen anders? Welche Kompensationsstrategien sind typisch? Wie unterscheiden sich weibliche Präsentationsformen von männlichen? Aktuelle Forschung zum „female autism phenotype“ praxisnah aufbereitet
- Therapeutische Ansätze anpassen: Was funktioniert, was nicht? Wie modifizieren Sie klassische KVT für ASS-Patienten? Welche Beziehungsgestaltung schafft Vertrauen? Ambulante Gruppenprogramme, strukturierte Einzeltherapie, stationäre Konzepte – mit realistischer Einschätzung von Möglichkeiten und Grenzen
- Interaktive Falldiskussionen: Sie arbeiten an komplexen Fallkonstellationen, entwickeln diagnostische Hypothesen und therapeutische Strategien – mit Raum für kollegialen Austausch und supervisorischen Elementen
Warum dieser Kurs?
Die durchschnittliche Zeitspanne zwischen ersten Symptomen und korrekter ASS-Diagnose bei Erwachsenen beträgt oft über ein Jahrzehnt – Jahre ineffektiver Behandlungen, gescheiterter Therapieversuche und zunehmender Selbstzweifel bei Betroffenen. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für hochfunktionale ASS stetig, und immer mehr Erwachsene suchen aktiv nach diagnostischer Abklärung. Ihre Praxis wird zunehmend mit dieser Patientengruppe konfrontiert sein – die Frage ist, ob Sie sie erkennen.
Wer hochfunktionale ASS präzise diagnostiziert, kann Behandlungsverläufe grundlegend verändern. Die korrekte Diagnose ermöglicht Selbstverständnis, erklärt lebenslange Schwierigkeiten, entlastet von Schuld und eröffnet spezifische therapeutische Wege. ASS-informierte Therapieansätze zeigen deutlich bessere Ergebnisse als Standardbehandlungen – vorausgesetzt, die Diagnose ist gestellt. Dieser Kurs vermittelt Ihnen die diagnostische Kompetenz und therapeutische Sicherheit, um einer oft übersehenen, hochbelasteten Patientengruppe endlich wirksam helfen zu können. Sie lernen nicht nur, ASS zu erkennen – Sie lernen, autistisches Erleben zu verstehen und therapeutisch zu nutzen.