Man muss ja nicht zwischen den Stühlen sitzen – Stühlearbeit in der Schematherapie

Man muss ja nicht zwischen den Stühlen sitzen – Stühlearbeit in der SchematherapieEinleitung
„Der Schutz von gestern ist das Gefängnis von heute“
Innere Dialoge prägen das Erleben und Verhalten von Patient:innen fundamental. Selbstabwertende Stimmen, die unablässig kritisieren, perfektionistische Forderungen, die nie erfüllbar sind, oder kindliche Anteile, die vor Verletzung schützen wollen – diese inneren Persönlichkeitsanteile bestimmen Denken, Fühlen und Handeln oft mehr als äußere Umstände. Sie kennen das aus Ihrer Praxis: Patient:innen berichten von inneren Kämpfen, beschreiben sich als „zerrissen“, „hin- und hergerissen“ oder „wie gelähmt“ zwischen widersprüchlichen Impulsen. Diese inneren Konflikte manifestieren sich besonders deutlich bei Persönlichkeitsstörungen, chronischen Depressionen und komplexen Traumafolgestörungen.
„Der Schutz von gestern ist das Gefängnis von heute“ – dieses Prinzip beschreibt präzise, was in der Schematherapie als Modi-Dynamik verstanden wird. Bewältigungsstrategien, die in der Kindheit sinnvoll und notwendig waren, verfestigen sich zu rigiden Mustern und schränken im Erwachsenenleben die Handlungsfähigkeit massiv ein. Kognitive Interventionen erreichen diese tief verankerten inneren Stimmen häufig nicht, weil sie primär auf der rationalen Ebene arbeiten. Die Stühlearbeit hingegen externalisiert diese inneren Anteile, macht sie sichtbar, hörbar und emotional erfahrbar – und ermöglicht dadurch tiefgreifende Veränderung.
Dieser Kurs vermittelt Ihnen die „handwerkliche Strategie“ der Stühlearbeit in der Schematherapie. Sie lernen, selbstschädigende innere Dialoge im Therapieraum nachzustellen, ihre biografische Herkunft aufzudecken und fürsorgliche, kraftvolle Gegenstrategien zu entwickeln.
Was Sie in diesem Kurs erwartet
Die Fortbildung basiert auf den schematherapeutischen Grundlagen nach Young, Klosko und Weishaar sowie deren Weiterentwicklungen durch Roediger, Jacob und andere. Die Stühlearbeit ist eine etablierte Technik in der Emotionsfokussierten Therapie und Schematherapie, deren Wirksamkeit empirisch gut belegt ist. Studien zeigen, dass die Externalisierung innerer Anteile und die dialogische Auseinandersetzung zwischen Modi zu signifikanten Verbesserungen in der Emotionsregulation, Selbstwahrnehmung und Symptomreduktion führen – insbesondere bei strukturellen Störungen und chronifizierten Selbstabwertungsmustern.
Im Zentrum steht die praktische Durchführung der Stühlearbeit: Sie lernen, wie innere Dialoge räumlich externalisiert werden, wie verschiedene Modi auf unterschiedlichen Stühlen Platz nehmen und wie der therapeutische Dialog zwischen diesen Anteilen gestaltet wird. Die Technik ist emotional aktivierend – sie macht rigide innere Überzeugungen nicht nur bewusst, sondern erlebbar. Patient:innen erkennen die Herkunft ihrer inneren Stimmen, verstehen deren ursprüngliche Schutzfunktion und entwickeln alternative, gesündere Selbstgespräche.
Der Kurs arbeitet erfahrungsorientiert und praktisch: Sie beobachten Demonstrationen, üben die Technik selbst in Kleingruppen, reflektieren eigene innere Anteile und entwickeln Sicherheit in der Durchführung. Besonderer Wert wird auf die therapeutische Haltung gelegt: Wie leite ich Patient:innen an, zwischen Stühlen zu wechseln? Wie unterstütze ich die Aktivierung verschiedener Modi? Wie stärke ich den gesunden Erwachsenen, damit er fürsorgliche Einsprüche gegen selbstschädigende Stimmen formulieren kann?
Sie lernen, die Stühlearbeit flexibel einzusetzen: von der Diagnostik innerer Strukturen über die Bearbeitung spezifischer Konflikte bis hin zur Stabilisierung und Integration. Die Technik ist ambulant umsetzbar, erfordert lediglich mehrere Stühle und lässt sich in 50-Minuten-Sitzungen integrieren. Gleichzeitig werden Grenzen und Kontraindikationen thematisiert, um die Methode sicher und verantwortungsvoll anzuwenden.
Konkret werden behandelt:
Grundlagen der Modi-Arbeit und Indikationsstellung
Das Modi-Modell der Schematherapie, Identifikation relevanter Modi im therapeutischen Prozess, Indikationen und Kontraindikationen für Stühlearbeit; praktische Vorbereitung von Patient:innen auf diese Technik.
Technische Durchführung der Stühlearbeit
Räumliche Anordnung, Anleitung zum Stuhlwechsel, Aktivierung verschiedener Modi, Moderation des Dialogs; konkrete Formulierungshilfen und Interventionsstrategien für verschiedene therapeutische Situationen.
Arbeit mit dem inneren Kritiker und dysfunktionalen Elternmodi
Externalisierung selbstabwertender Stimmen, Aufdeckung biografischer Ursprünge, Entmachtung rigider Forderungen; Stärkung des gesunden Erwachsenen gegen innere Kritik und Überanpassung.
Aktivierung und Schutz des verletzten Kindes
Zugang zu verletzten, einsamen oder wütenden Kindmodi, emotionale Aktivierung ohne Retraumatisierung, fürsorgliche Versorgung durch den gesunden Erwachsenen; praktische Balance zwischen Aktivierung und Stabilisierung.
Arbeit mit Bewältigungsmodi (Vermeidung, Kompensation)
Verständnis für Schutzfunktionen dysfunktionaler Bewältigungsstrategien, würdigende Auseinandersetzung mit dem „inneren Beschützer“, Entwicklung funktionalerer Alternativen; Umgang mit Widerstand gegen Veränderung.
Stärkung des gesunden Erwachsenen
Aufbau einer fürsorglichen, kraftvollen inneren Stimme, Einübung konstruktiver Selbstgespräche, Integration verschiedener Modi unter der Führung des gesunden Erwachsenen; praktische Übungen zur Stabilisierung dieser Instanz.
Umgang mit schwierigen Situationen und therapeutischen Herausforderungen
Blockaden in der Stühlearbeit, emotionale Überflutung, dissoziative Tendenzen, mangelnde Bereitschaft zum Stuhlwechsel; therapeutische Lösungsstrategien und Sicherheitsaspekte.
Warum dieser Kurs?
Innere Konflikte und selbstschädigende Dialoge gehören zu den hartnäckigsten therapeutischen Herausforderungen. Viele Patient:innen verstehen kognitiv, dass ihre Selbstabwertung irrational ist, können sich aber nicht davon befreien. Die inneren Stimmen sind zu dominant, zu automatisiert, zu tief verankert. Hier liegt die besondere Stärke der Stühlearbeit: Sie macht Unsichtbares sichtbar, gibt inneren Anteilen eine räumliche Präsenz und ermöglicht dadurch eine Auseinandersetzung, die weit über kognitive Disputation hinausgeht.
Die Forschung zur Stühlearbeit belegt deren Wirksamkeit: Die Externalisierung innerer Anteile führt zu besserer emotionaler Differenzierung, die dialogische Auseinandersetzung ermöglicht Integration statt Spaltung, und die Stärkung des gesunden Erwachsenen fördert selbstfürsorgliche Haltungen. Besonders bei strukturellen Störungen, bei denen innere Fragmentierung und dysfunktionale Modi-Dynamiken zentral sind, hat sich die Stühlearbeit als wirksames Instrument erwiesen.
Die Technik ist methodenintegrativ einsetzbar: Sie lässt sich mit anderen schematherapeutischen Elementen, mit imaginativen Verfahren und mit klassischen verhaltenstherapeutischen Interventionen verbinden. Die Stühlearbeit diagnostiziert innere Strukturen, macht biografische Zusammenhänge erlebbar und ermöglicht gleichzeitig konkrete Veränderungsarbeit. Patient:innen entwickeln ein tieferes Verständnis für ihre inneren Kämpfe und gewinnen Werkzeuge, um diese konstruktiv zu bearbeiten.
Besonders wertvoll ist die emotionale Aktivierung: Stühlearbeit wirkt nicht primär über Einsicht, sondern über korrigierende emotionale Erfahrung. Patient:innen spüren die Kraft des inneren Kritikers – und erleben gleichzeitig, wie der gesunde Erwachsene diesem wirksam entgegentreten kann. Diese Erfahrung ist nachhaltiger als jede kognitive Umstrukturierung, weil sie auf der Ebene stattfindet, auf der die Probleme verankert sind.
Sie verlassen diesen Kurs mit fundiertem Verständnis für die Modi-Arbeit, praktischer Kompetenz in der Durchführung von Stühlearbeit und der therapeutischen Sicherheit, auch komplexe innere Dynamiken professionell zu bearbeiten.