Medial ins Wachkoma: Der schmale Grat zwischen Spaß und Sucht

Medial ins Wachkoma: Der schmale Grat zwischen Spaß und Sucht
Digitale Verhaltensweisen verstehen, Risiken erkennen, pathologische Muster klar benennen
8,4 Prozent der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen und 5,5 Prozent der 18- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen zeigen eine computer- oder internetbezogene Störung – Tendenz steigend. Sie kennen das aus Ihrer Praxis: Der 16-Jährige, dessen Schulkarriere am seidenen Faden hängt, weil die Nächte dem Gaming gehören. Die junge Frau, die Social Media zur Flucht nutzt, während ihre Beziehungen zerbrechen. Eltern, die zwischen „Das ist doch nur eine Phase“ und echter Sorge schwanken.
Die neue ICD-11-Diagnose „Gaming Disorder“ ist da – doch wie setzen Sie sie diagnostisch präzise um? Wann kippt intensiver Konsum in pathologisches Verhalten? Und vor allem: Welche Therapie funktioniert tatsächlich, wenn digitale Abstinenz keine Option ist?
Dieser Kurs vermittelt, wie Sie internetbezogene Störungen sicher diagnostizieren und therapeutisch behandeln. Sie lernen die Entstehungsmechanismen pathologischer Mediennutzung kennen und erfahren, wie Sie schwankende Motivation konstruktiv nutzen können. Anhand klinischer Bilder wie Gaming Disorder, Social-Media-Abhängigkeit oder exzessiven Online-Verhaltensweisen werden die Grenzen zwischen Gewohnheit, dysfunktionalem Konsum und Sucht deutlich. Videodokumentierte Fallbeispiele zeigen typische diagnostische Fehler und erfolgreiche therapeutische Wendepunkte.
Was Sie in diesem Kurs erwartet:
Sie erhalten einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die neuen ICD-11-Diagnosen im Bereich „Disorders due to addictive behaviours“ und deren sichere Anwendung in der ambulanten Praxis. Seit Januar 2022 haben Betroffene durch die ICD-11-Diagnose „Gaming Disorder“ erstmals einen offiziellen Behandlungsanspruch – das bedeutet: Ihre Diagnose wird abgerechnet, Ihre Behandlung wird finanziert.
Anhand von Fallvignetten werden zentrale diagnostische Merkmale erarbeitet: Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Funktionsbeeinträchtigung, Rückzug aus Offline-Aktivitäten. Sie lernen das STICA-Therapieprotokoll kennen – die weltweit erste randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit kognitiv-behavioraler Behandlung von Computerspiel- und Internetsucht, veröffentlicht in JAMA Psychiatry. Das 15-wöchige Kurzzeitprogramm ist in die S1-Leitlinie der AWMF eingeflossen und wird Schritt für Schritt vorgestellt – mit Übungssequenzen, Rückfallprävention und motivationaler Gesprächsführung.
Zwei Bausteine erwiesen sich als besonders wirksam: die Phase der Abstinenz und die kontrollierte Exposition mit dem Suchtmittel. Der Schwerpunkt liegt auf einem therapeutischen Vorgehen, das im Alltag ambulanter Versorgung realistisch und effektiv umsetzbar ist – keine theoretischen Konzepte, sondern erprobte Praxis.
Konkret werden behandelt:
- Diagnostische Differenzierung: Intensiver Gebrauch vs. problematische Nutzung vs. Abhängigkeit – ICD-11-konform und gutachtersicher
- Neuropsychologische und behaviorale Mechanismen: Intermittierende Verstärkung aktiviert das Belohnungssystem ähnlich wie Glücksspiel – Dopamin-Ausschüttung bei variablen Belohnungen. Sie verstehen die neurobiologischen Grundlagen und können sie Ihren Patienten psychoedukativ vermitteln
- Die Tricks der Gaming-Industrie: Lootboxen generieren jährlich über 20 Milliarden US-Dollar durch manipulative Techniken – undurchschaubare Algorithmen, irreführendes Design und virtuelle Währungen verschleiern reale Kosten. Wenn Sie diese Mechanismen durchschauen, können Sie Ihren Patienten helfen, sich davon zu befreien
- Therapeutische Methoden: Vom klassischen Abstinenzmodell zur kontrollierten Nutzung, Expositions- und Stimuluskontrolle, digitale Konsumtagebücher, Rückfallmanagement – weil „Einfach offline bleiben“ keine Lösung ist
- Entwicklungspsychologische Besonderheiten: Jugendliche und junge Erwachsene, Elternarbeit als therapeutischer Baustein, konstruktiver Umgang mit Widerstand und Ambivalenz
- Gruppentherapie nach STICA: Aufbau, Module, konkrete Interventionen, Umgang mit Dropouts – fertige Strukturen, die Sie direkt übernehmen können
Warum dieser Kurs?
Die Zahl der Menschen, die unter digitaler Mediennutzung klinisch relevant leiden, steigt kontinuierlich. In Deutschland variieren die Prävalenzschätzungen zwischen 0,2% und 1% in der Allgemeinbevölkerung, bei Jugendlichen liegen die Raten deutlich höher mit 1-2%. Das bedeutet: In jeder größeren Praxis sitzen diese Patienten – diagnostiziert oder nicht. Trotz der neuen ICD-11-Kriterien herrscht in der Versorgungspraxis noch Unsicherheit: Wo beginnt die Störung? Wann ist Intervention notwendig? Welche Behandlung wirkt?
Die Zahlen sind alarmierend: Studien zeigen eine klare Korrelation zwischen Lootbox-Käufen und Spielsucht, wobei 5% der Käufer mehr als 100 US-Dollar monatlich ausgeben – oft aus Risikogruppen mit problematischem Spielverhalten. Die Gaming-Industrie nutzt bewusst verhaltenspsychologische Erkenntnisse: 75 Prozent der befragten Gamer stimmen zu, dass Lootboxen dazu verleiten, wiederholt Geld auszugeben. Ihre Patienten spüren: Hier läuft etwas schief – doch sie verstehen nicht, warum sie nicht aufhören können.
Studien zeigen, dass internetbezogene Störungen mit erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen einhergehen und familiäre, schulische sowie berufliche Entwicklungen blockieren können. Hier setzt STICA an: Das STICA-Programm konnte depressive Symptome erheblich verringern, die psychische, soziale und berufliche Funktionsfähigkeit deutlich verbessern und Patienten befähigen, ihre Online-Zeiten auf ein gesundes Maß zu beschränken.
Dieser Kurs schließt eine Lücke in der psychotherapeutischen Ausbildung: Er bietet eine differenzierte und alltagsnahe Qualifikation im Umgang mit digitalen Verhaltenssüchten. Sie können eine zunehmend relevante Patientengruppe diagnostisch präzise erfassen und therapeutisch wirksam begleiten – mit dem einzigen wissenschaftlich evaluierten Behandlungsprogramm, das seinen Wert in einer multizentrischen RCT-Studie bewiesen hat. Evidenzbasiert, praxisnah, sofort umsetzbar.